Die Existenz vieler künstlerischer Produktionsstätten und Ateliergemeinschaften Berlins sind bedroht. Viele haben befristete Verträge, mussten ihren Standort bereits an den Stadtrand verlegen oder kämpfen auch dort mit teuren Mieten und großer Unsicherheit. Die Initiative NWAGTK aus Treptow-Köpenick hat sich zum Ziel gesetzt, das Thema politisch mit allen relevanten Bezirks- und Senatsverwaltungen anzugehen. Im Interview haben wir mit drei Vertreter:innen der Initiative über ihre Arbeit, die Erfolge und Herausforderungen gesprochen.
Das Netzwerk Ateliergemeinschaften Treptow-Köpenick (NWAGTK) im Interview
Foto: Linda Hanses
Dariya Kryshen: Ihr wart beim 35. Runden Tisch Liegenschaftspolitik am 21. April 2023 dabei und habt dort das bedrohte Areal Wilhelminenhofstr. 83 in Treptow-Köpenick exemplarisch für das Sterben von Atelierhäusern vorgestellt. Vor allem ging es dabei aber um euch als Netzwerk Ateliergemeinschaften Treptow-Köpenick (NWAGTK) sowie eure Forderungen. Was ist seit April passiert? Welche Meilensteine wurden erreicht?
Stefka Ammon: Ein Highlight war der Follow-up-Workshop „Artists United“. Wir haben dazu ein zweites Mal Ateliergemeinschaften aus dem gesamten Stadtgebiet eingeladen, um unser Netzwerk zu erweitern. Das erste Treffen war im März, das zweite im Juli. Es war erschreckend zu sehen, wie schlimm die Situation berlinweit ist. Der Workshop im Juli diente vor allem dem Formulieren von gemeinsamen Forderungen. Diese haben wir auf unserer Website veröffentlicht.
Zudem haben wir uns weiter mit Bezirkspolitiker:innen in Treptow-Köpenick vernetzt – mit dem Bezirksstadtrat (BzStR) für Schule, Weiterbildung, Kultur und Sport, Marco Brauchmann und der BzStR für Straßen, Grünflächen und Umwelt und Naturschutz, Dr. Claudia Leistner. Außerdem hatten wir das Ziel, an die neue Landesregierung heranzutreten. Hier haben wir ein Treffen mit Stephan Machulik, dem Staatssekretär für Wohnen und Mieterschutz im Senat für Stadtentwicklung und Bauen erreicht. Nach wie vor warten wir jedoch auf einen Termin mit dem Senat für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Dariya Kryshen: Konntet ihr bei dem Workshop „Artists United“ Gleichgesinnte und Unterstützer:innen finden?
Stefka Ammon: Wir stoßen immer mehr auf Netzwerke oder Strukturen, die es teilweise schon lange gibt. Zum Beispiel sind wir vom Landesmusikrat Berlin e. V. eingeladen worden, hier ging es ebenfalls um Räume. Wir merken dabei: Es betrifft nicht nur die bildende Kunst, sondern die gesamte Kulturszene dieser Stadt. Es wäre so wichtig, dass nicht an acht verschiedenen Stellen acht verschiedene Netzwerke versuchen, das Gleiche zu machen, sondern dass das gebündelt wird. Wir haben diese Idee immer formuliert, denn die Misere ist eigentlich viel größer als das, was unser kleines Netzwerk betrifft. Eigentlich wollen alle das Richtige. Und selbst auf der politischen Seite trifft man nicht auf Abwehr.
Vernetzen sich, um gegen das Ateliersterben von der Politik Schritte zu fordern: Künstler:innen beim Artists United Workshop. Foto: Linda Hanses
Clemens Weise: Wie war das Treffen mit Staatssekretär Machulik?
Irene Pätzug: Eigentlich waren wir davon ausgegangen, dass der Stadtentwicklungssenator Gaebler am Tisch sitzen wird. Herr Machulik ist für Wohnen und Mieterschutz zuständig. Im Gespräch hat es sich aber herausgestellt, dass er genau die richtige Person war und er unglaublich motiviert ist. Ich würde sagen, es war ein großer Erfolg, diese Leute so optimistisch am Gespräch beteiligt zu sehen und deren Wohlwollen unserer Idee gegenüber formuliert zu hören. Mit anderen Worten, die Grundidee, das Gespräch zu suchen und alle an einen Tisch zu bringen, wird sehr unterstützt.
Clemens Weise: Wurde über bestimmte Instrumente oder Projekte konkret gesprochen? Gibt es bestimmte Dinge, die weiterverfolgt werden, z. B. ein Stadtentwicklungsplan Kultur oder eine Taskforce für bedrohte Räume?
Irene Pätzug: Diese ganz konkreten Formulierungen wurden bisher bewusst oder unbewusst ausgelassen. Uns ist in erster Linie vor allem wichtig, dass sich alle regelmäßig treffen, dass dieses Format zustande kommt.
Dariya Kryshen: Beim Runden Tisch ging es um das Thema Kooperation. Euer Anliegen ist auch, dass Zusammenarbeit vor allem ressortübergreifend funktionieren muss; also nicht nur beim Kultursenat, sondern auch mit SenStadt. Gab es dahingehend Erfolge?
Stefka Ammon: Ich glaube, es muss sich auf Seiten der Politik jemand den Hut aufsetzen und sagen: „Ich will jetzt alle Akteur:innen zusammen holen.“ Dabei muss sich diese Person die komplexe Frage stellen: Was für eine Stadt will Berlin sein? Und diese Frage impliziert, dass man nicht nur den Kultursenat braucht, sondern auch den Wirtschaftssenat sowie den Stadtentwicklungssenat – man braucht sie alle. Wie kann es denn sein, dass so viele Gruppen aus so vielen unterschiedlichen Sparten, wie wir jetzt feststellen, seit so langer Zeit immer das Gleiche fordern und die Bedingungen für diese Gruppen immer schlechter werden, die Räume ersatzlos verschwinden?
Clemens Weise: Das heißt, euch fehlt auch der politische Wille?
Stefka Ammon: Ja, Wille bedeutet hier, es gäbe diese Person, die das auf ihre Agenda nimmt. In Treptow-Köpenick sagt der Kulturstadtrat: „Warum stecken wir als Bezirksamt in dieser Situation von unterschiedlichen Zuständigkeiten zwischen Land und Bezirk und was sind denn meine Möglichkeiten und Rahmenbedingungen?“ Mit ihm arbeiten wir gut zusammen. Aber es fehlt jemand auf Landesebene, der es angeht. Diese Visionslosigkeit dort macht mich hilflos.
Clemens Weise: Was waren konkrete Forderungen, die beim Workshop erarbeitet wurden?
Stefka Ammon: Es gibt eine ganz konkrete Forderung nach Bestandsschutz: Es muss den Kulturkataster geben, der auch als Mietspiegel für Kulturproduktionsräume funktionieren kann, auch damit man Transparenz über Liegenschaften hat, die für kulturelle Nutzungen infrage kommen. Es muss Bekenntnisse dazu geben, dass bestehende Atelierräume in der Innenstadt und den Außenbezirken geschützt werden. Zu diesem Bestandsschutz gehört aber auch, dass die Immobilienwirtschaft mit in die Verantwortung genommen wird.
Neben dem Bestandsschutz ist der zweite Block die gesetzliche Verankerung von Kunst und Kultur als Daseinsvorsorge sowie die Wirtschaftsförderung von Kunst und Kultur. Zusammengefasst ist das die Forderung nach einem Kulturfördergesetz, das bspw. Quoten zur Schaffung künstlerischer Produktions- und Präsentationsräume beinhaltet. Gewerbemieten müssen rechtlich verankert und gedeckelt werden. Das wiederum betrifft nicht mehr die Landespolitik, sondern richtet sich an den Bund und die Gesetzgebung dort.
Der nächste Punkt ist mehr Hilfe zur Selbsthilfe. Man braucht Ansprechpartner:innen in Behörden für Mietrecht. Leute wollen selber aktiv werden! Die Künstlerinnen aller Sparten sind bereit und willens und voller Lust, selbst Projekte zu starten. Aber dafür brauchen sie Unterstützung. Es gibt derzeit stark personengebundene Expertise und Vernetzung. Aber es steht und fällt mit den entsprechenden Einzelpersonen. Wenn sie nicht mehr da sind oder wenn sie vom Projekt absorbiert werden, sind diese Ressourcen nicht mehr greifbar.
Zudem fordern wir eine Art Notruf für bedrohte Gemeinschaften. Also, wenn tatsächlich eine Gemeinschaft akut in Not gerät, braucht es die Möglichkeit, dass Materialien oder Werke untergestellt werden und Leute an Projekten, die sie abgeben müssen, weiterarbeiten können.
Wir fordern auch, dass es bezirkliche Atelierbeauftragte geben soll, die die Kulturschaffenden, die Bezirksverwaltungen und die Landesbeauftragten unterstützen sollen. So können die Räder, die ineinander greifen müssen, auch greifen, weil es dadurch strukturelle Stellen und Menschen gibt, die genau diese Aufgabe haben, dafür zu sorgen.
Und wir brauchen auch Förderprogramme. Die Kulturförderung muss an die Höhe der Wirtschaftsförderung angeglichen werden. Auch die Vergabe von staatlichen Krediten als Förderung spielt hier eine Rolle. Und auch im Kleinen: gewerbliche Werkstätten fallen natürlich unter die Kulturproduktion, weil sich das gegenseitig bedingt. Ganz oft, weil wir im Prinzip auch Kleingewerbe sind als Kulturschaffende und noch gleichzeitig andere Gewerke für unsere Produktion brauchen, bzw. die von uns abhängig sind und die auch ihre Räume brauchen.
Präsentation des Netzwerks Ateliergemeinschaften Treptow-Köpenick. Foto: Linda Hanses
Dariya Kryshen: All das sind ja Lösungsansätze. Aber ihr seid ja eigentlich noch dran, das Problem überhaupt nach außen hin zu kommunizieren und euch Gehör zu verschaffen. Was sind eure nächsten Schritte, die ihr jetzt unmittelbar in den nächsten Monaten angehen wollt?
Irene Pätzug: Also zunächst sind wir erst einmal um unser eigenes Überleben bemüht, denn unsere Arbeit wurde durch den Fonds Soziokultur finanziert – seit Juli ist das jedoch nicht mehr so. Es ist unklar, wie viel Support wir bekommen. Das ist ein großes Thema und letztendlich auch eine Frage, die auch an die anderen anknüpft: Wer fühlt sich für dieses ganze Format, was wir da suchen, verantwortlich, auch finanziell? Bisher stellen wir diese Frage nicht und versuchen, das aus eigener Kraft zu stemmen. Aber die Frage muss gestellt werden, weil natürlich mit dieser Klärung von Verantwortung ganz vieles zusammenhängt. Und dann ist natürlich der Punkt, dass die Senatskulturverwaltung, die eigentlich für uns als Künstler:innen zuständig ist, hoffentlich dieses Jahr auch noch reagiert und uns eine Einladung zukommen lässt. Zumal SenStadt, SenKult und vielleicht auch SenWEB und natürlich die Bezirksämter auf einen Vorschlag von uns warten, wie wir uns den ersten Auftakt des Workshops Runder Tisch im kommenden Jahr vorstellen. Um das jedoch auszuformulieren, brauchen wir dieses Treffen bei SenKult ganz dringend.
Stefka Ammon: Es geht jetzt darum, mit der immer noch neuen Landesregierung in Dialog zu treten. Auf Bezirksebene sind jetzt die wichtigsten Akteur:innen im Boot. Selbst die BVV von Treptow-Köpenick hat uns mit Mitteln unterstützt, damit wir den Soziokultur-Fonds überhaupt beantragen können.
Irene Pätzug: Das Grundproblem ist von allen Seiten im Bezirk erkannt worden. Ich glaube, das wird uns als Betroffenen jetzt erst so wahnsinnig klar. In dem Fall spreche ich von den Schuckert-Höfen, wo einfach deutlich wird, dass selbst, wenn man einen wohlwollenden Investor findet, dieser mittlerweile extrem hohe Preise aufrufen muss oder kann … und das Engagement der Kulturpolitik kommt zu spät. Ich glaube, das ist noch nicht bei allen angekommen, dass es ganz schön brennt. Und ich befürchte, dass, ehe es ankommt, vieles nicht mehr zu retten ist.
Dariya Kryshen: Natürlich ist es mit jedem weiteren Atelierhaus, das verschwindet, umso gravierender. Aber eigentlich wird man ja dadurch vielleicht ja auch noch mal verbildlichen können: Es ist jetzt noch eins gegangen – wann endlich versteht ihr, liebe Politiker:innen, diese übergeordnete Problematik und die Bezüge zwischen diesen einzelnen Schritten, die da gegangen werden müssen?
Irene Pätzug: Es gibt ganz viele Statistiken, auch von Martin Schwegmann (scheidender Atlelierbauftragter des Landes Berlin) initiiert. Aber auch da fehlt noch eine Art Zusammenfassung, die den Entscheider:innen das noch mal so richtig unter die Nase hält, um wie viele Fälle es eigentlich geht.
Stefka Ammon: Dahingehend finde ich die folgende Betrachtungsweise plastisch: Der BBK hat 8.000 Abonnenten. Wenn es also ca. 10.000 Künstler gibt und es gibt 1.300 geförderte Ateliers, heißt das, dass 8.700 Leute in Ateliergemeinschaften oder in irgendwie gearteten Gewerberäumen ihre Kulturproduktion machen müssen. Und das bedeutet, dass wir eigentlich die Arbeit machen für die Mehrheit der Künstler:innen, also sozusagen für all diejenigen, die nicht das große Glück eines geförderten Ateliers haben.
Irene Pätzug: Letztendlich müsste uns ja der Kultursenator dafür danken, dass 8.700 Künstler keine Senatsförderung beanspruchen, sondern sich selbst organisieren. Und wir sind ja alle der gleichen Meinung, dass das auch nicht dauerhaft funktioniert über Subventionierungen. Aber es gibt kein wirklich schlüssiges Gegenmodell dazu. Es gibt nur immer die Antwort: Da muss die Stadt wieder subventionieren.
Stefka Ammon: Kunst und Kultur ist das, was diese Stadt ausmacht und was auch tatsächlich für den Zusammenhalt in dieser Stadt wichtig ist. Wir machen die Stadt mit zu dem, was sie ist. Und wie kann es dann sein, dass wir bei der Planung und auch bei der Wirtschaftsförderung überhaupt nicht mehr mitgedacht werden? Und dass wir platt gemacht werden von denen, die mit diesem Image ihre Immobilien vermarkten?
Dariya Kryshen: Oder überhaupt mal eine Einsicht. Also die Unterstützung muss ja noch nicht mal monetär sein, aber aktuell konkurriert ihr ja quasi mit der freien Wirtschaft …
Stefka Ammon: Wenn es nur die freie Wirtschaft wäre! Wir konkurrieren mit international operierenden Playern und gigantischen Vermögen. Das sind Stakeholder, die einfach Geld haben, die über die Preise und über die Bedingungen in Berlin nach wie vor einfach nur lachen, weil sie das einfach alles wegkaufen können. Und die bauen auch bestimmt tolle Häuser. Aber die Frage ist: für wen? Und was wollen wir hier eigentlich? Wir, das heißt die Wählerinnen und Wähler, die Bürger:innen, die in dieser Demokratie leben und die eine Zivilgesellschaft bilden und die in dieser Zivilgesellschaft gemeinsam darum ringen, wie wir hier leben wollen. Nicht mehr und nicht weniger. Und so begreife ich auch diese Arbeit, die wir machen.
Die Autor*innen vom Netzwerk Ateliergemeinschaften Treptow-Köpenick, NWAGTK