Wenn die öffentlichen Kassen besonders knapp sind und Sparmaßnahmen von der sozialen Infrastruktur über die Kultur bis hin zur Stadtentwicklung anstehen, fühlen sich die betroffenen Akteure dazu veranlasst, den Wert ihrer Arbeit für die Stadtgesellschaft in Euro zu beziffern. Dann taucht immer häufiger der Begriff „Stadtrendite“ auf. Doch was genau bedeutet er, und sollte er tatsächlich als Grundlage für ein „Anlagesystem" dienen, anhand dessen eine Stadt Entscheidungen ihre Ausgaben (oder besser "Investitionen") verteilt?
von Simon Wöhr
Bild: wal
„Stadtrendite" beschreibt im Kern die Vorstellung, dass Investitionen in städtische Projekte — ob Infrastruktur, Kultur oder soziale Programme — einen messbaren ökonomischen, sozialen oder ökologischen Nutzen generieren. Dieser Begriff wird häufig von Stadtentwicklungsakteuren, aber auch von Politik und Wirtschaft verwendet, um eine Argumentationsgrundlage für städtische Investitionen zu schaffen.
Dabei gibt es zwei Lesarten des Begriffs „Stadtrendite“: In einem umfassenden Sinne meint er den gesellschaftlichen Mehrwert städtischer Projekte, wie beispielsweise soziale Kohäsion oder ökologische Nachhaltigkeit – Dinge also, die sich kaum in Euro berechnen lassen. Daneben gibt es auch eine engere, ökonomisch orientierte Interpretation, die tatsächliche finanzielle Renditen für die Stadt, etwa durch erhöhte Steuereinnahmen oder Gewinne aus Immobilienverkäufen, betont. So argumentierte beispielsweise Berlins Staatssekretär für Inneres (SPD) Christian Hochgrebe trotz der aktuellen Haushaltskrise im Tagesspiegel für die Ausgaben von 12,5 Mio. Euro für ein Gastspiel der American Football League (NFL) in Berlin. Dadurch würden Einnahmen für Hotels oder Restaurants erzielt, da zusätzliche Besucher wegen des NFL-Spiels nach Berlin kommen (Tagesspiegel, 2024).
Ein Versuch, den "Mehrwert von Kunst und Kultur für den städtischen Raum“ zu beziffern, unternahm das Linzer Institut für qualitative Analysen im Jahr der Finanzkrise 2008 in Österreich. Die Analyse zeigt, dass Investitionen in Kunst und Kultur nicht nur wirtschaftliche Vorteile bringen, sondern auch eine tiefgreifende soziale Wirkung entfalten. Demnach generiert jeder investierte Euro in ein kulturelles Großprojekt wie das Linzer "Ars Electronica" etwa das Dreifache an wirtschaftlicher Aktivität. Doch auch immaterielle Werte, wie die emotionale und ästhetische Aufwertung städtischer Räume, wurden betont, die schwer in monetären Kategorien erfassbar sind, jedoch erheblich zur Lebensqualität beitragen (Lechner et al., 2008).
Ein besonders interessanter Ansatz, der aus der Studie von Lechner et al. hervorgeht, ist die Methode des "Cultural Mappings". Dieses Verfahren dient dazu, kulturelle Ressourcen in einem städtischen Kontext systematisch zu identifizieren, zu bewerten und strategisch zu nutzen. Es umfasst eine Kombination aus qualitativen und quantitativen Erhebungen, bei denen beispielsweise die Anzahl kultureller Institutionen, ihre geografische Verteilung, ihr Beitrag zur sozialen Kohäsion sowie ihre wirtschaftlichen Effekte untersucht werden. Ziel ist es, ein umfassendes Bild der kulturellen Landschaft zu erstellen, das als Grundlage für politische Entscheidungen oder urbane Entwicklungsstrategien dienen kann.
Das Prinzip des "Cultural Mappings" lässt sich auch auf andere städtische Bereiche übertragen. So könnten beispielsweise soziale Einrichtungen, Grünflächen oder Bildungsangebote kartiert und bewertet werden, um ihre Bedeutung für die Stadtentwicklung besser zu verstehen. In der Praxis könnte dies bedeuten, dass etwa Kindergärten oder Parks nicht nur anhand ihrer Kosten bewertet werden, sondern auch nach ihrem sozialen und ökologischen Beitrag zur Stadtgesellschaft. Indem solche Ressourcen sichtbar gemacht werden, können Städte gezielter in den Ausbau oder Erhalt von Infrastrukturen investieren, die langfristige positive Effekte für die Stadt haben.
Ein weiteres Beispiel liefert das Papier von Spars und Heinze (2009), das die Rolle kommunaler Wohnungsunternehmen bei der Generierung von Stadtrendite untersucht. Hier wird eine differenzierte Methode vorgeschlagen, um den Beitrag solcher Unternehmen zum städtischen Gemeinwesen zu bewerten. Ein zentraler Aspekt ist hier die "Wohlfahrtsökonomie": Kommunale Wohnungsunternehmen können dort einen Mehrwert schaffen, wo der Markt versagt, etwa durch Investitionen in soziale Infrastruktur, die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum oder die Stabilisierung problematischer Quartiere.
Eine zentrale Herausforderung bleibt jedoch die Messung. Spars und Heinze schlagen vor, monetäre und qualitative Ansätze zu kombinieren. Monetäre Anteile der Stadtrendite umfassen beispielsweise Einsparungen bei Sozialleistungen oder zusätzliche Steuereinnahmen. Qualitative Aspekte, wie die Verbesserung des Wohnumfelds oder soziale Integration, werden durch Interviews oder methodische Näherungen bewertet. In einem untersuchten Fall eines süddeutschen Wohnungsunternehmens konnte eine jährliche Stadtrendite von durchschnittlich 289.046 Euro ermittelt werden. Diese setzte sich aus monetären und qualitativen Faktoren zusammen, wobei letztere die gleiche Gewichtung erhielten wie die monetären Anteile (Spars/Heinze, 2009).
Auch in der Praxis der Berliner Liegenschaftspolitik tauschte die Idee der Stadtrendite auf, wenn auch wieder aus einer etwas anderen Perspektive. Die Rot-Rot-Grüne Mehrheit beschloss 2019, dass städtische Grundstücke in Berlin direkt an öffentliche Wohnungsunternehmen oder gemeinwohlorientierte Akteure vergeben werden, ohne dass diese den Höchstpreis bieten müssen, sofern „Stadtrendite“ dabei entsteht, also soziale, kulturelle oder ökologische Werte für die Stadt.
Kritik am Konzept der Stadtrendite
Trotz ihrer positiven Konnotation bleibt die Idee der Stadtrendite umstritten. Gegenüber dem zuletzt beschriebenen Modell der Liegenschaftspolitik Berlins äußern sich der Philosoph Silomon-Pflug und die Geographin Susanne Heeg (2013) kritisch: Sie sehen durch den Begriff die Wahrnehmung von Grundstücken als fiskalisches Vermögen vertieft, da alle anderen Ansprüche (an kulturelle oder stadtentwicklungspolitische Ziele) durch Zahlen gerechtfertigt werden müssen.
Die Studie von Lechner et al. (2008) betont ebenfalls diese scheinbar unauflösbare Kritik am Versuch immatrielle Mehrwerten ein Preissschild zu geben: Sie führen aus, dass Kunst und Kultur vorallem indirekt wirken durch die Förderung von Kreativität, den interkulturellen Dialog und die soziale Integration. Diese Werte bleiben unmessbar, sind jedoch unverzichtbar für die Lebensqualität in Städten.
Die Idee der Stadtrendite birgt also Potenzial, städtische Investitionen auch in Zeiten knapper Kassen zu rechtfertigen und langfristig nachhaltig zu gestalten. Doch der Begriff bleibt ein zweischneidiges Schwert: Wenn er lediglich als Vehikel dient, um kommerzielle Interessen zu befördern, droht eher eine Entwertung des Gemeinwohls, als dessen Stärkung.
Senatsverwaltung für Finanzen Berlin, "Konzept zur Transparenten Liegenschaftspolitik", online abrufbar unter: https://www.parlament-berlin.de/adosservice/18/Haupt/vorgang/h18-1702-v.pdf.
Lechner, D., Philipp, T., et al., Der Mehrwert von Kunst und Kultur für den städtischen Raum, Linz/Wien, 2008.
Tagesspiegel, "NFL kommt 2025 für ein Spiel nach Berlin", abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/berlin/senat-will-125-millionen-euro-investieren-nfl-kommt-2025-fur-ein-spiel-nach-berlin-12859954.html.
Spars, G., Heinze, M., Stadtrendite durch kommunale Wohnungsunternehmen – Chancen und Potenziale für die Stadtentwicklung, FWS, 2009.
Solomon-Pflug, T., Heeg, S., "The Urban Revenue Debate: Social and Cultural Approaches", 2013.